In meinem Philippinen-Urlaub 2009 hatte ich die Möglichkeit ab und zu auch einmal allein unterwegs zu sein. Ich nutzte die Gelegenheit und besuchte Banaue mit seinen berühmten Reisterrassen. Um dorthin zu gelangen, entschied ich mich, mit dem Nachtbus von Manila aus zu fahren. Der Verkehr in Manila ist für den normalen Touristen ein undurchdringliches Gewirr aus Mopeds, Jeepneys, Taxis, Autos, Tricycles und auch Bussen. Um auf Nummer sicher zu gehen, die Busstation im Norden von Manila rechtzeitig zu erreichen, ging ich etwas eher los. Wider Erwarten fand ich die Busstation dann doch sehr schnell und so hatte ich noch circa 2 Stunden Zeit, die ich einfach mit Warten auf den Bus verbrachte.
Während ich wartete, sprach mich eine junge, neugierige Sitznachbarin an. Wie sich es herausstellte, war sie mit ihrer Mutter und ihrer kleinen Tochter ebenfalls unterwegs in Richtung Norden, jedoch nahmen sie einen anderen Bus. Mit den üblichen Fragen nach dem Woher und Wohin kamen wir auf die Familien zu sprechen. Sie hatten ein kleines Feld gepachtet, welches die gesamte Familie bearbeitet. Jedoch sind sie immer zu wenig, um das Feld bearbeiten zu können.
Ich fragte sie, “Wie viele Kinder haben Sie denn schon?”, sie antwortete, “Ich habe nur eben diese eine Tochter“. Sie würde ja gern mehr Kinder haben, damit diese ihnen später auf dem Feld helfen könnten, jedoch wirft das Feld nicht so viel Ertrag ab, um ein weiteres Kind zu ernähren…
In dem Moment verstand ich, was die Quadratur eines Kreises bedeutet: Welche Entscheidung sie diesbezüglich auch trifft, immer wird es das andere Problem sein, welches sie ihre Existenz als Bäuerin kosten kann. Zu wenig Arbeitskräfte oder wenn dann zu wenig Ertrag, um zusätzliche Arbeitskräfte ernähren zu können. Normalerweise bin ich in Ratschlägen nicht verlegen, jedoch blieb ich wortlos zurück, als die kleine Familie mit ihrem Bus später dann hinter der Hausecke in Richtung Norden verschwand…
In Gedanken vertieft, übermüdet und von der Klimaanlage des Busses durchfroren erreichte ich dann am nächsten Morgen Banaue. Kaum, dass sich die Bustüre öffnete, wurde der Bus von einer Menge Tricycle-Fahrer umringt, die laut ihre Dienste anpriesen, um die wenigen im Bus sitzenden Touristen von ihren Vorzügen zu überzeugen. Aus diesem Gemenge heraus rettete ich mich in mein Guesthouse, um mich erst einmal aufzuwärmen und zu frühstücken. Ein Bekannter des Hauses sprach mich an, ob ich an einem Tagesausflug auf die Reisterrassen interessiert sei. Ich erkannte in ihm einen der zuvor vor dem Bus wartenden Fahrer und ich engagierte ihn als meinen Guide. Er hiess Jordan und sprach sehr gut Englisch. So konnte ich mich mit ihm auch über andere Dinge als Sightseeing unterhalten.
Jedoch kam es an dem Tag anders als geplant: Auf dem Weg durch die faszinierenden Reisterrassen setzte ich einmal einen Fuß rückwärts auf die falsche Stelle, die unter meinem Gewicht nachgab. Ich verlor das Gleichgewicht und so fiel ich von einem Bewässerungskanal aus ungefähr 10m in die Tiefe. Die Beine und der Kopf wurden ziemlich in Mitleidenschaft gezogen. Der Rucksack hatte jedoch gröbere Verletzungen verhindert und so brachte mich mein Guide zum Krankenhaus, um die Schürfwunden behandeln zu lassen.
Als Ausländer wurde ich gleich dem Chefarzt vorgeführt, der sich sehr um mich kümmerte. Nach einer knappen halben Stunde waren die Wunden professionell behandelt und ich mit den entsprechenden Medikamenten versorgt. Über die Rechnung des Krankenhauses war ich dann doch mehr als erstaunt. Die Chefarztstunde kostete 300,- Pesos, jedoch kosteten die 6 Tabletten Antibiotika gegen eventuelle Entzündungen der Wunden knapp 1600,- Pesos!
In dem Reiseführer wurde sehr wohl beschrieben, dass das philippinische Gesundheitssystem sehr gut ist, jedoch die meisten Einwohner es sich nicht leisten können. An dem Tag erlebte ich dies selbst…
Was geschieht mit den Einwohnern, die eine schwere Krankheit haben und diese vielleicht auch noch chronisch ist? Wie bezahlen diese die Medikamente? Auch wenn vielleicht der Arztbesuch nicht ganz so teuer ist – wie geht es für sie dann weiter?
Mein Guide war ziemlich am Boden zerstört, da bei ihm noch keiner der von ihm geführten Touristen einen Unfall hatte. Er hatte zu unrecht ein schlechtes Gewissen, jedoch konnte ich es im leider nicht nehmen. So sehr ich mich auch bemühte, ihn davon zu überzeugen, dass Unfälle nun mal passieren können. Er kümmerte sich den nächsten Tag dann sehr um mich. Er lud mich zu seiner Familie ein, führte mich an Plätze, die ich mit trotz meines lädierten Beines erreichen konnte und kochte für mich. Es gab natürlich Reis – zusammen mit Rührei und dem auf den Reisfeldern wachsenden Wasserspinat (Filipino: „kangkong“ ). Ich hatte bis dahin und habe seitdem nie wieder so leckeren Reis gegessen!
Naturreis, der auf diesen Reisterrassen angebaut wird. Aus Neugier fragte ich Jordan, „Warum verkauft ihr diesen leckeren Reis oder exportiert ihn nicht?“, Seine Antwort: „Die Lebensmittel, welche wir brauchen, sind einfach teurer als der Reis. Daher essen wir den Reis selbst.“
Und um sich etwas mehr leisten zu können, verdingt er sich ab und zu, wenn es die Arbeit auf den Reisfeldern erlaubt, als Guide für Touristen und führt diese durch die Reisterrassen. Er würde gern weiter studieren, jedoch reicht dafür sein Geld nicht aus…
Schon wieder war ich wortlos…
Auf den Rückweg nach Wien saß ich im Terminal am Düsseldorfer Flughafen einer jungen, attraktiven Geschäftsfrau gegenüber, die so laut telefonierte, dass ich ihrem kompletten Gespräch folgen konnte, ohne mich anstrengen zu müssen. Dieses Gespräch drehte sich darum, dass sie sich von ihrem Vorgesetzten unverstanden fühlte und dieser ihre unglaublichen Fähigkeiten nicht erkennen würde. Letztendlich saß ich ihr mindestens eine halbe Stunde gegenüber, jedoch gab es nur dies eine Thema während des ganzen Telefonats…
Und wieder war ich wortlos…
Ich stieg in den Flieger nach Wien und war in Gedanken wieder auf den Philippinen. Bei der Frau mit ihrem Kind und ihrer Mutter am Busbahnhof in Manila, bei meinem Guide in Banaue…